Interpol, 2004

Hamburg, der 30.11.2004 – ich befinde mich in Hamburg, um mir eine Band anzugucken, die ich 2 Jahre zuvor schon einmal in dieser Stadt gesehen habe. Der kleine, aber feine Unterschied ist nur, dass ich sie beim ersten mal im Logo mit ca. 150 Leuten genießen durfte und jetzt drängen sich ca. 1200 Leute in eine vollkommen ausverkaufte Markthalle – Sauerstoffgehalt ca. 3%. Eigentlich müsste ich jeden Moment ohnmächtig werden, doch ich halte tapfer durch, um diese atmosphärisch düstere Band aus New York noch lebend zu erleben: Interpol.



Die neue Platte „Antics“ soll live vorgestellt werden. Ihre zweite. Mit den Schwierigkeiten des zweiten Albums hatten schon etliche Bands zu kämpfen, die mit dem ersten Album eine große Erwartungshaltung geschaffen haben. Aber wie sind Interpol mit diesem Erfolgsdruck umgegangen ? Ich treffe 3 Stunden vor der Show Bassist Carlos D. „Es war ein Tabuthema, dass wir einfach ignoriert haben. Nachdem wir 16 Monate nach dem ersten Album auf Tour waren, haben wir uns an die neuen Songs gesetzt und 11 Stücke sind dabei herausgekommen. 10 davon haben wir für das Album verwendet.“ Klingt sehr unspektakulär. Keine Legendenbildung, keine großen Geschichten, einfach nur Arbeit. Aber wo ist die Muse, was ist die Insperation ? „Wir haben alle Unterschiedliche Einflüsse. Das geht von The Cure bis hin zu Kool Keith.“ The Cure könnte auch ein Erstklässler musikalisch herleiten, besonders da sie Mitte des Jahres mit ihren Helden auf Amerika Tour waren. Zusammen mit The Rapture und Mogwai. „Das war eine unglaubliche Erfahrung. Robert Smith mochte sogar unsere Musik.“ Carlos zeigt zwar keine großen Gefühlsregungen, aber sein leichtes Lächeln auf den Lippen zeigt mehr als  Worte – da ging ein Traum in Erfüllung. Aber Kool Keith ? „Paul unser Sänger mag den sehr.“ Ich gucke Carlos an. In den 80ern hätte ich ihn als Gruftie bezeichnet, doch im Jahre 2004 gibt es solch enge Grenzen nicht mehr. Da kann man The Cure und Kool Keith hören. Da darf man dunkle und atmosphärische Musik mit z.B. 50ties High School Musik a la Frankie Avalon mischen. So wie bei „Next Exit“, dem Opener des neuen Interpol Albums. Diese Mischung zieht sich durch das ganze Album. Der Sound besitzt weniger Pathos als ihr Erstling, weniger Delay und Reverb, mehr Direktheit und Songwriting. „Wir wollten das Album  direkter und näher haben, weswegen wir auf viele Effekte verzichtet haben. Diesmal haben wir auch nur mit einem Produzenten gearbeitet, anstatt mit zwei wie beim letzten Mal.

Viel ist aus dem Bassisten zwar nicht rauszuholen und fotografiert werden möchte er auch nicht, aber er zeichnet sich dennoch durch extreme Höflichkeit aus. Interviews machen ja auch keinen Spaß. Wenden wir uns lieber der Live-Performance zu. Nachdem Bloc Party, eine exzellente Band aus London gespielt haben, enterten die 4 Sympathen aus New York die Bühne. Das Licht atmosphärisch und farblich abgestimmt auf das Gesamtkonzept ließ nur schemenhafte Gestalten erkennen und ließ die traurigschöne Musik noch eine Nuance emotionaler wirken. Man merkt, dass die Band schon mal die ein oder andere Show gespielt hat. Das Zusammenspiel war dementsprechend. Eigentlich war die Show nahezu perfekt, betrübt wurde das Vergnügen lediglich durch die Massenansammlung, die auch nur dann abfeierte, wenn ein Hit angestimmt wurde.

(Erschienen in Rocknews, 2004)

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