Die Chronologie eines Abends als DJ
Diesen Artikel habe ich für die Hannoversche Allgemeine Zeitung in 2006 geschrieben:
Viele Leute denken, dass Djing ein cooler Job ist. Das ist doch der Typ, der immer gut gelaunt hinter den Plattentellern steht, pausenlos Frauen aufreißt und ein Jetset-Leben führt. Ich möchte diesen Plattitüden gerne etwas entgegensetzen, indem ich der Leserschaft einfach mal einen gewöhnlichen DJ Abend beschreibe.
Das Auflegen beginnt nicht erst wie viele denken im Club – nein – hier bedarf es langer Recherche und Vorarbeit: Musikmagazine lesen, neue Bands ausfindig machen, stundenlang das Material in Plattenläden hören, Platten kaufen und sie schließlich katalogisieren. Das ist so ähnlich wie Briefmarken sammeln – ganz und gar unglamourös. So beginnt mein Abend am 25.02. auch nicht um 23 Uhr im Club, sondern um 18 Uhr in meinem Wohnzimmer. Hier lege ich den Grundstein des Abends: Ich wähle die Platten aus. Dieser Vorgang soll über Erfolg oder Niederlage des Abends entscheiden und ist deswegen extrem wichtig. Ich entscheide mich für ein ausgewogenes Set zwischen Electro und Gitarre. Akribisch werden die Platten in den vorgesehenen Plattenkoffer sortiert und teilweise noch einmal gehört und geprüft. Jetzt nochmal kurz chillen und dann steht Mario aka Rothmatic auch schon unten vor der Tür. Ein Plattenkoffer kann extrem schwer sein, besonders wenn man ihn aus dem 3. Stock nach unten tragen muss.
Um 21 Uhr entern wir das Spandau. Wir tragen die Platten kurz in den Keller und schon meldet sich der Magen – knurr knurr. Also noch was essen, um auch körperlich eine gute Grundlage zu schaffen und dann geht’s um 22 Uhr offiziell los. Nachdem ich kurz die Technik gecheckt habe, finde ich mich als erster von den drei heutigen DJ´s hinter den Plattenspielern wieder. Spärlich kommen Gäste nach unten. „Kenne ich dich nicht von früher?” fragt mich ein junger Mann, Mitte bis Ende 20. „Hast du nicht mit Olli Wilkening immer geskatet?” bohrt er weiter. Ich erinnere mich jetzt und will auch gerne mit ihm smalltalken, doch ich war gedanklich eigentlich beim Plattenauflegen. Ich spiele eine recht eklektische Mischung aus Roxy Music, Talking Heads, DJ Hell, Neon Judgement und Miss Kittin. Schon kommt auch schon der erste Wunsch: „Hast du mal Everyday I Love You Less And Less?” Na klar, ich verschieße meine Hits am Besten schon am Anfang vor 20 Leuten. Ich kann an dieser Stelle immer wieder nur Hans Nieswandt zitieren und sagen, dass Hörerwünsche eigentlich eine Pest sind.
Um 23.30 Uhr kommt Laura alias Miss Candy Candy. Wir begrüßen uns und einigen uns auf einen stündlichen DJ-Wechsel. Auch hier gibt es tausende Möglichkeiten: 1er Ping Pong, 3er Ping Pong, Wechsel nach einer halben Stunde oder manchmal auch so gut wie gar nicht, wenn der andere DJ enthusiastisch bei der Sache ist.
Mario übernimmt dann um 00 Uhr die nächste Schicht. Er beginnt mit alten Indie-Klassikern wie Sonic Youth und Pixies und schwenkt dann zu 70s Disco und Funk. Ich habe jetzt 2 Stunden Zeit bis zu meinem nächsten Einsatz, aber das ist tückisch, denn als DJ kann man zwischen seinen Sets nicht wirklich relaxen. Man prüft das Publikum und beobachtet zu welchen Songs die Köpfe nicken. Wie ein Detektiv saugt man jede Reaktion auf und prüft, welche Platten die anderen DJ´s spielen, um Wiederholungen zu meiden.
Nächste Meldung aus dem Publikum: „Ey Meister, soll hier nicht auch noch Electro gespielt werden?” Gesagt, getan. Um 01 Uhr entert Candy die DJ-Kanzel und spielt ein recht housiges Set. Der Raum ist nun komplett gefüllt und die Leute fangen an zu tanzen. Das Publikum ist heute sehr gemischt, doch das macht es einem DJ umso schwieriger alle Geschmäcker auf einen Nenner zu bringen.
Jetzt ist es 02 Uhr und ich bin wieder dran. „Kannst du mal The Drill spielen?” wird von der Tanzfläche gefordert. Jetzt muss ich mein Statement oben ein wenig einschränken: Nicht alle Hörerwünsche sind eine Pest. Manchmal passt ein Wunsch wirklich auch mal in die Stimmung des Sets und dann spiele ich ihn auch tatsächlich gerne.
Meine Plattenauswahl ist sehr elektronisch – jetzt ist Konzentration angesagt. Man muss akribisch die Geschwindigkeit des neuen Tracks rausfinden, sie an den alten anpassen und langsam überblenden. Das sieht zwar cool und relaxed aus, ist aber schweißtreibende Milimeterarbeit. Irgendein jetzt schon total besoffenes Schwein torkelt vor der DJ-Kanzel herum schreit mir irgendwelche unverständlichen Wörter entgegen und fällt schließlich gegen meinen Arbeitsplatz. Ich hätte es kommen sehem müssen. Die Nadel verrutscht und schon ist das Lied zu Ende. Jetzt muss ich schnell reagieren. Ich suche eine neue Platte aus und spiele irgendein Lied. Ich hasse solche Situationen.
Ab 03 Uhr legt Mario wieder auf. Es ist ganz schön verraucht und mein Kopf beginnt langsam weh zu tun, also gehe ich mit meinem Kunpel Eze nach oben und wir loungen (ich glaube so nennt man das jetzt) ein wenig. Langsam aber sicher erreiche ich meinen toten Punkt. Jetzt ist es wichtig nicht nachzugeben. Wir gehen wieder runter und die Stimmung ist ganz ausgezeichnet. Ich lasse mich anstecken und tanze ein wenig.
Die DJ Zeiten stimmmen langsam auch schon nicht mehr und mein inneres schreit nach Gitarrenmusik: Arcade Fire, Elefant, Strokes, Interpol, Morrissey. Ich reihe Hit an Hit und besonders die Frauenfraktion dankt es mir. Apros pro Frauen; wer denkt, dass man als DJ groß Frauen aufreißt, den kann ich nur Fragen: „Wann denn?”. Man ist ja die ganze Zeit mit auflegen beschäftigt, selbst wenn man nicht alleine auflegt.
Zu guter letzt legt Laura noch ein bischen 80er Jahre auf: ABC, Pet Shop Boys, New Order, Depeche Mode – mein Sound. Ich freu mich, verbrauche noch meine letzten Kraftreserven und sacke schließlich auf dem Sofa zusammen. Das war ein erfolgreicher Abend.